Vielleicht erschüttert es das eigene Selbstbild und die Gewissheit, zu den Guten zu gehören, wenn es auch auf der anderen Seite des politischen oder religiösen Spektrums Wahrheit und Gutes geben kann. Mich irritiert das manchmal auch. Doch anstatt sich selber immer auf der richtigen Seite zu wähnen, sollten wir lieber lernen, festgefahrene Meinungen, Identitäten und Feindbilder zu hinterfragen: rechts – links, konservativ – liberal, pro-israelisch – pro-palästinensisch usw. Für mich taugen diese Kategorien immer weniger. Sie beschreiben Zugehörigkeitsgefühle aufgrund von Meinungen und Feindbildern, die kaum noch zur Diskussion stehen. Fängt man jedoch an, sie zu hinterfragen, dann kommt plötzlich Leben in die Bude. Oder es steht die Zugehörigkeit auf dem Spiel und Freundschaften verschieben sich. Das kann auch ganz befreiend sein.
Die Bibel ist voll mit Geschichten von den Richtigen, die das Falsche tun. Sie sind geradezu das Paradebeispiel der Rechtgläubigen. Aber es gibt auch Geschichten von den Falschen, die das Richtige tun. Da ist zum Beispiel die schöne Geschichte von Bileam und seiner Eselin. Beide lassen sich nicht von Feindbildern leiten und tun das Richtige: Israel segnen statt es zu verfluchen, nachzulesen im 4. Buch Mose, Kapitel 22-24.
Auch Paulus fordert dazu auf, alles zu hinterfragen und die Geister zu prüfen, nicht zuletzt auch den eigenen Geist und die eigenen Überzeugungen: Prüfet alles und das Gute behaltet. So schreibt er im 1. Thessalonicher-Brief, Kapitel 5, Vers 21. Denn die Wahrheit und das Gute hat niemand für sich gepachtet. Und die Täter des Bösen haben sich immer auf der richtigen Seite gewähnt. Aber die Taten können am Ende auch ohne Ansehen der Person gewogen werden.
Margit Binz, Pfarrerin für Ökumene, Evangelisches Dekanat Vorderer Odenwald

