Ich tauche ein in die Atmosphäre der erwartungsfrohen Menschen. Ich höre mich um: Weihnachtsmusik und –gedudel, Stimmengewirr, ein Baby, das schreit, ein Hund, der bellt. Lachen. Ich blicke mich um und sehe viele Farben überall: Rot, Blau, Grün, dieses Jahr viel Türkis und Bronze. Goldene Lichter, weiße Lichter, Silberglanz. Die Farben wecken Assoziationen in mir. Blau ist die Farbe, die in sich hinein zieht: der Himmel, das Meer, der Mantel der Madonna. Rot, die Farbe der Liebe wie Herzblut, Rosenblatt, funkelnder Wein. Gold, die Königsfarbe. Ich höre regelrecht Trompetenfanfaren aus Bachs Weihnachtsoratorium. Grün als die Hoffnungsfarbe erinnert mich an wachsende Saat, dem Rot komplementär. Ich bin voller Eindrücke, satt an Farben, die laut im Vordergrund sind. Doch welche Farbe hat die Stille? Grau? Wie der unbelebte Granit in den Bergen? Wie der Kiesel am Strand? Wie sieht Stille aus? Grau-braun? Wie Kryptamauern im Dom oder eher rot-braun? Wie ein Engelschor an Michaeli? Stille ist hoch und tief zugleich, Stille ist rechts und links neben mir - Stille ist vor und hinter mir - Stille ist überall, wenn wir Menschen sie nicht zudecken mit unseren Wort-Farben-Teppichen und den heftigen Geräuschkulissen. Welche Farbe hat die Stille? Sie hat Sphärenfarbe. Sie hat Engelsfarbe. Sie ist da - und doch wieder nicht. Sie ist sichtbar und unsichtbar. Stille hat die Farbe der Engel. Ich gehe weiter. Ich blende die Farben und die Töne aus. Und mit einem Mal erlebe ich den Zauber der Adventszeit. Still, vergnügt, besinnlich. Frieden auf Erden. Für einen Moment zumindest. Dieses Geschenk nehme ich mit.
Heike Behrendt,
Pfarrerin in Alzenau und Schöllkrippen