Habe ich richtig gelesen? Ja. Was bleibt – wenn Du gehst? Die Ampel wird grün und ich gehe, vorwärts gedrängt von den anderen Wartenden. Was bleibt? Von mir? Wenn ich mal gehe. Also, so richtig. Für immer. Wohin auch immer. Wenn ich eben sterbe. Was bleibt? Die Erinnerungen? Meine Kinder? Die Arbeitskollegen, die mich kennen? Was werden meine Nachkommen mit meinen Sachen machen? Den Wichtigen und den Unwichtigen? Alles weg? Auch das Auto? Das Haus? Die Fotos und Briefe? Was bleibt – wenn ich gehe?!? Wie muss ich leben, damit etwas bleibt?!? Ich sinniere vor mich hin, während die Autos an mir vorbeibrausen. Ich denke herum an den großen Lebensfragen. Finde Antworten, verwerfe sie wieder, denke weiter. Der gelbe Zettel mit seiner Botschaft lässt mich nicht los.
Zu Hause suche ich erst mal im Internet, was es mit dem Zettel auf sich hat: www.die-erinnerungsguerilla.org. Diese Adresse war noch unten auf dem gelben Post-it drauf. Ich lese: Eine Initiative von Leuten steckt dahinter, die mit Fragen Menschen im Alltag erreichen will, sie zum Nachdenken anstiften will. Bei mir hat das geklappt. Mich lässt diese Frage nicht los. Was bleibt – wenn Du gehst?!? Das ist auch eine religiöse Frage (auch wenn das die Leute von der Initiative gar nicht beabsichtigen...) Die Freunde von Jesus haben ihn das damals vor seinem Tod gefragt: Jesus, was bleibt, wenn Du gehst?!? „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt." (Mt 28, 20) hat er geantwortet und es hat lange gedauert, bis seine Freunde verstanden haben: Er ist anders. Er geht gar nicht ganz weg, er bleibt – auch über den Tod hinaus. Das haben wir letzte Woche kräftig in unseren Kirchen gefeiert: Ostern! Was für ein Glück für uns, die wir erst mal noch bleiben.
Pfarrerin Judith Haar-Geißlinger, Kleinheubach