Zum Verzeihen gehören mindestens zwei, oft noch mehr. Im Falle der Entscheidung unserer Bundes- und Landesregierung sind es sogar viele Millionen Betroffene. Da kann ich es nicht jedem recht machen und jeden Einzelfall in seiner Besonderheit berücksichtigen. Jede Entscheidung aber hat Auswirkungen auf andere. Selbst in meinem ganz privaten Bereich. Ich bin ein soziales Wesen, stehe mit meiner Umwelt in einer Beziehung und beziehe sie damit direkt oder indirekt in meine Entscheidungen mit ein. Meine ganz persönliche Freiheit findet darum immer ihre Grenze in der Freiheit meiner Mitmenschen. Oder andersherum: Freiheit und Verantwortung bedingen sich gegenseitig.
Einander verzeihen ist letztlich Ausdruck des Glaubens. Denn ich habe nicht die Wahrheit für mich allein gepachtet oder kann aus einer Vogelperspektive heraus gleichsam in die Zukunft blicken. Ein Machtmensch, ein Recht-Haber oder ein autoritärer Herrscher wird darum niemals um Verzeihung bitten. Allein sein übersteigertes Ego verhindert dies.
Wir werden einander viel verzeihen müssen. Darin zeigt sich wahre Größe, dass ich mir bei allen meinen Entscheidungen bewusst bin: Die letzte Wahrheit liegt allein bei Gott, ich erblicke höchstens einen Schimmer von ihr. Wenn ich im Nachhinein nicht ganz falsch gelegen habe, dann darf mich das zufrieden machen. Aber nicht, weil ich so ein toller Held bin, sondern weil der wahre Held dieser Welt, Jesus Christus, mir seine Wahrheit ins Herz und in die Hände gelegt hat.
Rudi Rupp
Evang. Dekan am bayer. Untermain