Hinweis

Ihre Browserversion wird leider nicht mehr unterstüzt. Dies kann dazu führen, dass Webseiten nicht mehr fehlerfrei dargestellt werden und stellt ein erhebliches Sicherheitsrisiko dar. Wir empfehlen Ihnen, Ihren Browser zu aktualisieren oder einen der folgenden Browser zu verwenden:

Spuren Gottes

Sie war gerade mal 20 als sie bei uns im Spessart landete. Geboren im Sudetenland hatte der Krieg sie als junge Flakhelferin in den Norden Deutschlands gebracht. Auf dem Weg zurück zur Familie wurde sie von den Amerikanern aufgegriffen. Per Militärtransport ging’s dann gen Westen.

„Wie viele brauchst Du?" fragte der Offizier den Bürgermeister. „Zwei". Der Offizier sieht sich auf dem Lastwagen um. „Du und Du, absteigen!" Sie soll bei der Ernte helfen.
Ausgesucht hat sie sich das nicht. Weder den Krieg, noch die Flakhelferin, noch den Spessart. Aber, da war sie nun. Und der Spessart sollte ihr zur neuen Heimat werden. Hier sollte sie wohnen bleiben.
Einfach war es nicht. Eine Fremde. Eine Evangelische noch dazu: Flüchtlinge wurden damals mit dem gleichen Misstrauen betrachtet wie heute.
Sie lässt sich nicht beirren. Sie heiratet, gebiert Kinder. Mit viel Eigenarbeit entsteht ein Haus. Der Garten ernährt die Familie. Unermüdlich trägt sie zum Lebensunterhalt bei. Heimarbeit, Pflegekinder, schließlich eine Anstellung. Wo sie kann hilft sie in der Nachbarschaft aus. Wenn es gar nichts mehr zu tun gibt, dann muss zumindest ein Kreuzworträtsel gelöst werden.
Mit großem Weitblick ermöglichen sie und ihr Mann den Kindern eine gute Ausbildung, besser als es in der Kriegszeit für sie selbst möglich gewesen war und besser als es bei anderen Kindern in den Dörfern im Spessart damals üblich war. Sie hilft bei den Hausaufgaben, soweit sie das kann. Ist moralisch zur Stelle, wenn die Kinder Rückhalt brauchen: „Ihr schafft das schon!"
Bis ins hohe Alter hinein nimmt sie aktiv am Leben in der Nachbarschaft und am Leben ihrer Kinder teil. Mit ihr ist einfach gut reden. Als sie mit knapp 90 auf ihr Leben zurückblickt, ist sie dankbar: Spuren Gottes. Spuren Gottes bei sich und bei vielen Anderen, die sie im Laufe ihres Lebens berührt hat.
„Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten,
Gutes entstehen lassen kann und will."
So schreibt 1943 der evang. Pfarrer Bonhoeffer, der im letzten Kriegsjahr von den Nazis ermordet wurde. 1943, zehn Jahre nach der Machtergreifung Hitlers. Auf diesem Hintergrund klingen die Sätze provozierend: Gutes aus dem Nationalsozia­lismus? Auch aus Krieg und Massenvernichtung?
„Dafür braucht Gott Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen", fährt Bonhoeffer fort.
Die Sudentendeutsche im Spessart ist so ein Mensch. Immer wieder schafft sie es, sich den Veränderungen in ihrem Leben mit einem positiven Ausblick zu stellen: Das Glas ist halb voll! So lässt sie die Brüche hinter sich; aufmerksam, interessiert und lebensoffen.
Ich bin dankbar, dass ich sie kennenlernen durfte. Unsere Welt braucht Menschen wie sie.

Heinrich Splitter
Evangelischer Pfarrer, Dekanat Lohr