Schreite oder stolpere ich in sie hinein? Was wünsche ich mir dazu, was wünsche ich anderen? Eine Schwelle berührt mich immer zutiefst, wenn ich Gelegenheit habe, vor ihr zu stehen. In der großen Basilika Santa Maria degli Angeli zu Assisi steht unterhalb ihrer mächtigen Kuppel das eigentliche Heiligtum, die kleine Portiunkula. Vor über 800 Jahren hatte der Hl. Franziskus die zerfallenen Kapelle wieder aufgebaut. Er war der Stimme Jesu gefolgt: „Franziskus baue meine Kirche wieder auf!“ Bevor man die Kapelle aber betreten möchte, nimmt man unübersehbar an ihrer Türschwelle in goldenen Lettern die Inschrift wahr: HIC LOCUS SANCTUS EST. Dies ist ein heiliger Ort, steht gleichsam warnend geschrieben. Ich gestehe, ich gehe dort ganz selten in den Raum hinein, bleibe vielmehr vor dieser geheimnisvollen Schwelle stehen. Nicht, weil ich mich unwürdig fühlte - was man gewiss ja immer ist! - sondern, weil das Empfinden für diesen Ort so überwältigend groß ist. Obwohl ich diese Schwelle nicht überschreite, bin ich doch ausgespannt auf die Heiligkeit dieses Ortes und seiner Botschaft für mich. In dieser Spannung erfahre ich mich als Mensch, der von Gott her eingeladen, angenommen und bejaht ist. Darf ich nicht auch die Schwelle zum neuen Jahr als einen solchen geheimnisvollen Moment deuten? Das neue Jahr gleicht einem heiligen Ort, in dem mir Gott mit seinem Schenken immer zuvorkommt. Ein neues Jahr, in dem mir von Weihnachten her Jesu Christi Gegenwart zuteil wird. Er, der sein kleines Zelt - seine Portiunkula - unter uns aufgeschlagen hat. (vgl. Joh 1, 14) So werde ich in dieses neue Jahr nicht einfach hineinstolpern, wenn ich seine Schwelle achte, wenn ich wirklich ins Heilige eintrete.
Martin Heim,
Dekan