Nur das freundliche Lachen seiner Augen, als wir uns die Hand gaben, erinnerte noch an den dynamischen Kollegen von früher, der immer voller Ideen war und dem nie etwas zu viel wurde. Jetzt ist ihm alles zu viel. Von außen betrachtet müsste er sich glücklich schätzen: Glücklich verheiratet, zwei erwachsene Töchter mit anspruchsvollen Berufen und tollen Partnern, ein pfiffiger, fünfjähriger Enkel, eine engagierte Gemeinde mit immer noch vielen Ehrenamtlichen. Doch seine Seele ist wund, verletzt, zerbrechlich.
Wir sprechen über die Corona-Zeit und die Ukraine, den Bedeutungsverlust der Kirche und den Klimawandel. Gestalte ich mit meinen bescheidenen Kräften noch mit oder bin ich nicht schon längst gefangen im Hamsterrad des Funktionierens ohne Einfluss auf die Welt da draußen? Ich frage mich im Stillen: War das früher wirklich anders oder gar besser? Doch würde eine solche Frage ihm helfen? Wohl kaum.
Mir begegnen zunehmend Menschen, die so empfinden wie mein Kollege. Äußerlich im Glück und Wohlstand lebend, doch innerlich außer der Spur. Den Anschluss verloren, der innere Kompass spielt verrückt. So kann man noch eine ganze Zeit lang funktionieren, doch irgendwann geht es dann nicht mehr.
Man muss sich trauen auszusteigen aus dem Hamsterrad der eigenen Ansprüche, das sich immer schneller um die eigene Achse dreht, bis man heillos gefangen ist. Durch eine Therapie, durch eine vierwöchige Auszeit, die es in unserer Kirche für Haupt- und Ehrenamtliche auf dem Schwanberg bei Kitzingen gibt, manchmal auch durch einen Stellenwechsel.
Ich hab auch schon daran gedacht, sagt er. Agnes wohnt mit ihrer Familie im Nürnberger Land. Wenn ich dort eine Schulstelle fände, könnten wir näher bei ihr sein. Aber mit 61 noch einmal neu anfangen? Wir müssen lächeln. Denn wir kennen beide die Elia-Geschichte aus dem Alten Testament und der wunderschönen Passage mit dem Engel. Der sagte zu Elia: Steh auf und iss! Denn du hast einen weiten Weg vor dir. Für einen Neuanfang ist es nie zu spät. Mit Gottes Hilfe.
Rudi Rupp, evang. Dekan am bayer. Untermain