Nach dem Lesen des Textes gab Elisa, eines der drei „Schafe“, zu Bedenken: „Wir haben ja gar nicht das Jesuskind sprechen lassen.“ „Was schlägst du vor: Wie können wir es sprechen lassen?“, entgegnete ich. „Es muss versteckt sprechen, unsichtbar. Vielleicht hinter einer Wand oder so.“
Ich war erstaunt. Das Kind hatte erfasst, dass Jesus da ist, aber ganz anders da ist, unsichtbar, geheimnisvoll, jenseitig. Und er spricht zu den Menschen, in jedem Augenblick, so das Kind. Es gibt eine geheimnisvoll verborgene Präsenz von Christus unter uns und in uns.
Ein erwachsener Christ würde dieses Zeugnis anders formulieren: Für den Tiefenpsychologen C.G. Jung ist Jesus Bild für die Mitte im Menschen, für sein innerstes Wesen, das Jung auch „das Selbst im Menschen“ nennt. Christus ist „Bild Gottes. Nach ihm ist unser innerer Mensch unsichtbar, unkörperlich und unsterblich geschaffen.“ Diese Mitte ist lebendig, spricht, ordnet, belebt, drängt zur Nachfolge.
Bei der Wiedereröffnung der „Königin der Kathedralen“ Notre Dame in Paris, blühten die drei großen Rosetten im Westen, Norden und Süden, mit fast zehn Metern Höhe, in frischem Glanz auf. Die Mitte der Südrose, die Rose des Neuen Testamentes, bildet Jesus Christus. Unmittelbar um ihm herum ranken sich 12 Blütenblätter, in der Zahl 12 verborgen, die Drei als Zahl Gottes und die Vier als Zahl der Schöpfung – ein perfekter Ausdruck der Menschwerdung Gottes in die Schöpfung hinein. Christus ist die Mitte und bewegt als Gottmensch Kosmos, Raum, Zeit und Seele. Er bewegt als geheimnisvolle Nabe ein Ganzes.
Elisas Anfrage war die erste Lektion an uns für das beginnende Jahr 2025. Und diese Lektion kam aus dem Mund eines Kindes! Sagt nicht der Volksmund: „Kindermund macht Wahrheit kund“? Jesus ist geheimnisvoll und unsichtbar überall zugegen, auch in uns. Wir sollten auf seine Stimme hören und ihn zu uns sprechen lassen. Wir haben nichts zu verlieren. Nur zu gewinnen.
Peter Spielmann
pastorale Mitarbeit in Obernau