Beide Mütter sind in einem Dilemma wie man es sich schlimmer kaum vorstellen kann. Die eine Mutter nähert sich dem Haus. Sie wird sofort zurück gehalten: „Unmöglich. Sie riskieren Ihr Leben!" Daraufhin eilt sie unter den Balkon und ruft Ihrem Kind zu, dass es in der Küche aus der Schublade ein Seil holen, das am Geländer festbinden und dann hinunterrutschen soll. „Ich fange Dich auf!" Das Kind aber versteht in dem Tumult nichts und schreit nur umso lauter nach seiner Mutter, die da ist, aber doch so weit weg. Immer wieder versucht die Mutter es mit Ratschlägen ... Sie steht und ruft und das Kind weint in seiner Verlassenheit.
Was macht die andere Mutter? Sie geht in dem Chaos ebenfalls an das Haus. Sie sieht den Qualm. Sie wird festgehalten, Teile ihres Kleides werden ihr vom Leib gerissen. Aber sie hört auf niemanden, nur auf die Stimme ihres Herzens und niemand kann sie aufhalten ihr Kind zu suchen. Sie stürzt sich in den Qualm und die Unübersichtlichkeit des Hauses.
Mich hat diese Geschichte des Jesuiten Henri Boulad, als ich sie das erste Mal hörte, sehr berührt. Und sie lässt mich auch heute noch nicht los.
Welche Mutter hat nun vernünftig gehandelt? Und welche Vernunft ist hier gemeint? Gibt es neben der Vernunft des Intellekts auch eine des Herzens? Wie stehen diese zueinander? Was hat das mit dem Menschen und mit Gott zu tun?
Menschlich betrachtet, meine ich: Beide Seiten sind menschlich. Beide haben den Anspruch auf Vernunft. Die Mutter, die sich in das Chaos stürzt, hat diese nicht Ähnlichkeiten mit unserem Alltag? Wo wir immer wieder versuchen, in der Unübersichtlichkeit und dem Qualm des Alltags Werte zu leben?
„Das Herz hat seine Gründe, die der Verstand nicht kennt." (Pascal)
Menschwerdung – das große Projekt jedes Christenmenschen - gelingt nur, wenn wir diesen Gründen auf die Spur kommen. Welche Gründe des Herzens haben Sie in Ihrem Leben schon entdeckt?
Dr. Peter Müller
Stellv. Fachakademiedirektor

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