Ich frage mich manchmal, was der Mensch ist, ja zu was er fähig ist. Wird die Zukunft endlich das Ersehnte bringen, Wohlergehen und Frieden, Selbstverwirklichung und Glück. Oder behalten die finsteren Interessen und zerstörerischen Seiten des Menschen die Oberhand, Korruption und Machtkampf, persönlicher Nutzen statt Gemeinwohl, Aggression statt Kooperation.
In solchen Momenten erinnere ich mich gerne, was die Bibel sagt: „Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut" – so das Resümee ganz am Anfang der Schöpfung – noch bevor der Mensch so richtig ins Weltgeschehen eingegriffen hat. Demnach hätten wir alle Chancen, etwas Gutes daraus zu machen. Später, nach der sogenannten Sintflut, nachdem sich Gott das Treiben und Tun des Menschen schon eine Zeitlang angeschaut hatte, kommt er zu einem anderen Ergebnis: „Das Sinnen des menschlichen Herzens ist böse von Jugend an". Gegensätzlicher könnten seine Schlussfolgerungen nicht sein.
Der Kirche wird ja gerne der Vorwurf des Gutmenschtums gemacht und ja, in der Tat ist es ein Ziel des Glaubens, aus den Menschen „Gute Menschen" zu machen, zu Menschen, die verantwortlich handeln und sich nicht nur von ihren persönlichen Interessen leiten lassen, sondern auch das Wohl des anderen, des Nächsten, der Welt im Blick haben. Aber gibt es eine Alternative dazu?
Wenn ich mich in der Welt umschaue, habe ich eher die Angst, dass die moralisch-ethische Entwicklung des Menschen zu langsam voran schreitet, wir nicht hinterherkommen, die immer neuen Möglichkeiten, die sich auf allen Gebieten auftun, auf ihre ethische Vertretbarkeit zu überprüfen, dass die Moral von der Realität überholt wird.
Die Bibel ist da mit ihrer Ambivalenz ganz realistisch: Das Meiste, was wir entwickeln, kann man tatsächlich in beiderlei Richtung nutzen. Das Gute mehren, es zum Nutzen der Menschen einsetzen oder auf Kosten von anderen den persönlichen Profit maximieren, die eigene Macht ausnutzen, andere unterdrücken, niederhalten, foltern ...
Es liegt in meiner Hand, jeden Tag neu, wie ich mich entscheide. Mir persönlich bereitet Letzteres ein besseres Gefühl.
Pfarrer Peter Kolb,
Leiter des Evangelischen Bildungswerks Untermain