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Kreuzwort am 06. November 2021

Grenzgänger

St. Martin ist einer der beliebtesten Heiligen. Und gerne wird er den Kindern als Vorbild für das Teilen vermittelt. Und das ist einer reichen Gesellschaft, wie der unseren, eine gute Grundhaltung. Ob wir aber Martin gerecht werden, wenn wir ihn nur auf das Teilen reduzieren und das vielleicht sogar mit dem moralischen Zeigefinger? Das scheint mir eine wichtige Frage. Auch angesichts dessen, dass Glauben oft auf (enge) Moral reduziert wird. „Gelassen, weise heiter wirst du erst an der Grenze. An der Grenze des Abstiegs nach innen.“ Diese Gedanken von Josef Pilz haben mich angeregt, über die tiefere Dimension von Grenzgängen und der Martinslegende nachzudenken. Denn in ihr werden wesentliche Bereiche des Menschseins angesprochen.

Wir Menschen sind nicht nur, aber insbesondere an unseren Grenzen auf andere angewiesen. Der Bettler in der Legende hat in der Kälte seiner Welt gewiss gelernt zu betteln, zu bitten, sich hinzuhalten...sicher eine schwere Lektion. Da kann man verhärten und innerlich nichts mehr an sich heranlassen. Dann wird keine echte Begegnung mehr erwartet - höchstens Almosen. Dieses sich auf andere hin zu öffnen, kann jedoch auch etwas anderes bewirken: Es kann wie bei dem Bettler zu einer unerwarteten Erfahrung führen. Er bekommt mehr als er erwartet. Er wird eingehüllt von einer Wärme, die mehr ist als ein Almosen. Es ist eine tiefe menschliche Erfahrung, die – so die Legende – eine Gotteserfahrung ist. Martin, der Ritter, dem es landläufig betrachtet gut geht, sitzt auf seinem hohen Ross. Auch ihm ist es kalt und, eingehüllt in seinen Mantel, freut er sich wahrscheinlich auf seine Ankunft zu Hause. Was Martin für mich auszeichnet: er sieht den Menschen und lässt  ihn an sich heran. Er sieht ihn in seiner Begrenzung und lässt sich selbst davon bewegen. Er steigt herab, geht auf Augenhöhe. Damit öffnet er sich selbst, erweitert seine eigenen Grenzen. Genauso gut könnte er sagen: „Das geht mich nichts an. Da soll sich die Caritas, Diakonie oder Grenzenlos drum kümmern. Was kann ich schon tun? Der Bettler ist ein Opfer des Systems.“ Indem er sich aber berühren lässt, öffnet er sich selbst, erweitert seine eigenen Grenzen und macht das, was ihm möglich ist. Beide – Bettler und Ritter - sind an ihre Grenzen gegangen und beide wurden beschenkt. Und so zeigt sich: Jeder ist bedürftig und jeder kann ein Ritter – stark und heldenhaft sein. Wenn ich den Bettler und den Ritter als eigene Anteile betrachte, dann wünsche ich mir einerseits den wachen Blick für mich, wann ich von meinem hohen Ross runter muss und wenn ich das nicht wahrnehme, dass ein anderer mich in meiner Bedürftigkeit wahrnimmt. Das ist für mich eine Mystik des Alltags, die mich gelassen, heiter und etwas weise mit Grenzen umgehen lässt.

Dr. Peter Müller
Fachakademiedirektor