Denn am nächsten Morgen bekommt die Szene eine neue Färbung. Was wäre, fragte ich mich, wenn die Jugendlichen in ihrer flegelhaften Naivität nicht das Rechte, aber etwas Richtiges durch den Raum trompetet haben? Gott ist tatsächlich größer all das, was laut draußen vor der Kirchentüre passiert, größer als die schönen Kunstwerke im Raum, größer als der festliche Ritus, der dort gefeiert wird, größer als Menschen, die im Namen Gottes unverschämte Kriege führen. Und der Dritte im Bunde mit der Bemerkung über die angeblich verstorbene Oma. Er erinnerte mich an eine Geschichte von Friedrich Nietzsche, dem geschmähten Gottverächter. In ihr erzählt er vom „tollen Menschen“, der am Vormittag auf den Marktplatz lief und eine Laterne anzündete. Dabei schrie er unaufhörlich: „Ich suche Gott. Ich suche Gott…. Wir haben ihn getötet - ihr und ich. Wir alle sind seine Mörder! … Was taten wir, als wir diese Erde von der Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Wohin bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen? Stürzen wir nicht fortwährend.?… Irren wir nicht wie durch ein unendliches Nichts… Hören wir noch nichts vom Lärm der Totengräber, welche Gott begraben? Riechen wir noch nichts von der göttlichen Verwesung?“ Das sind fast unerträgliche Sprachbilder. Aber sie sind erlebt und erlitten. Auch der Jugendliche musste Kerzen anzünden. Nehmen wir seine Entschuldigung ernst, so ging ihm die Oma verloren, die ihm ein Zuhause, Nähe und Halt gegeben hat. Wir sollten darum beten, dass Gott den Dreien als der tatsächlich Größere aufgeht, und dass sie Menschen finden, die ihnen vorleben, was menschliche Größe heißt.
Peter Spielmann,
pastorale Mitarbeit in Obernau