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Für Hinterbliebene „stimmt nichts mehr“

Fortbildung der Notfallseelsorge am Untermain zur Betreuung von Angehörigen nach Suizid – Notfallseelsorger sind „Weichensteller“ für die Trauerarbeit der Hinterbliebenen– „Nach einem Suizid stimmt für die Hinterbliebenen nichts mehr“

Wörth am Main (POW) Alle 53 Minuten nimmt sich in Deutschland ein Mensch das Leben. Egal ob man als Angehöriger oder als Helfer mit dem Thema Suizid konfrontiert wird, es berührt immer emotional und führt schnell an Grenzen. Wohl auch deshalb war die Fortbildung „Suizid“, die von der ökumenischen Notfallseelsorge am Untermain am Samstag, 27. April, im Pfarrzentrum Sankt Nikolaus in Wörth am Main veranstaltet wurde, so gut besucht. Von den verschiedenen Kriseninterventionsdiensten, der Feuerwehr, der Polizei und den Rettungsdiensten kamen 130 Teilnehmer, viele auch aus hessischen Nachbarregionen wie Frankfurt, Darmstadt und sogar Marburg.

Referentin war die Diplom-Sozialpädagogin Elisabeth Brockmann aus Bayreuth. Sie ist dort Geschäftsführerin von „AGUS – Angehörige um Suizid“, einem bundesweit organisierten Selbsthilfeverein, der Hinterbliebenen nach einer Selbsttötung bei der Trauerbewältigung helfen möchte. Brockmann machte zunächst anhand statistischer Daten deutlich, dass die Suizid-Zahlen in Deutschland zwar seit 1970 kontinuierlich zurückgehen, aber trotzdem immer noch mehr Menschen auf diese Weise ums Leben kommen, als alle Opfer von illegalem Drogenkonsum, Mord und Totschlag, Verkehrsunfällen und Aids zusammengenommen. Suizid ziehe sich quer durch alle Bildungsschichten, und mit 75 Prozent seien es überwiegend Männer, die diesen Weg wählten, um aus dem Leben zu scheiden. Suizid im Affekt sei äußerst selten. Meistens ist es eine ganze Summe von Gründen, die letztlich zum Entschluss führen, nicht mehr leben zu wollen. Angehörige blieben dann mit vielen Fragen zurück, oft gepaart mit Schuld- und Schamgefühlen und einer tiefen Erschütterung des eigenen Lebens. „Nach einem Suizid stimmt für die Hinterbliebenen nichts mehr.“ Die Tabuisierung des Themas sei immer noch weit verbreitet. Das erschwere die Bearbeitung des entstandenen Traumas, da man sich oft nicht traue, offen über das Geschehene zu reden.

Auch deswegen bezeichnete Brockmann die Teilnehmer der Fortbildung als „Weichensteller“ für die Trauerarbeit der Angehörigen: „Sie sind die ersten Menschen, die mit den Angehörigen über das Geschehene reden, und haben deshalb Modellcharakter für deren weiteren Umgang damit.“ Wichtig sei es, sich zunächst seine eigene Haltung zum Suizid klarzumachen und dabei auch den eigenen Sprachgebrauch zu überprüfen: „Selbstmord ist nicht das passende Wort für die Situation, da Mord immer etwas mit einer Straftat zu tun hat“, erklärte die Sozialpädagogin. Sie betonte, dass bei den Hinterbliebenen nach einem Suizid die positive Würdigung des Toten genauso wichtig sei, wie dies für die Betreuung bei anderen Todesursachen als selbstverständlich gilt. Die Ersthelfer vor Ort sollten im Blick haben, dass eine längerfristige Begleitung der Hinterbliebenen angebahnt wird. „Gerade bei Hinterbliebenen nach Suiziden ist das Hilfe-Such-Verhalten sehr gering“, sagte Brockmann. Sie wies in diesem Zusammenhang auf die Selbsthilfegruppen hin, die von AGUS koordiniert werden.

Beim anschließenden Podiumsgespräch schilderten Vertreter von Polizei, Feuerwehr, Rettungssanitätern und Notfallseelsorge ihre Erfahrungen bei Einsätzen im Zusammenhang mit einer Selbsttötung. Mehrfach wurde dabei betont, wie wichtig das Hinzuziehen eines Kriseninterventionsteams oder der Notfallseelsorge in solchen Fällen ist. Diese Dienste hätten sich in den vergangenen Jahren auch deshalb etabliert, weil sich die öffentliche Wahrnehmung verändert habe und man das Thema nicht mehr verschweige, stellte Brockmann fest. Doch für die Helfer gelte genau wie für die Angehörigen: „Wer in Kontakt mit Suizid kommt, bewegt sich im Grenzbereich des für den Menschen Erträglichen.“ Deswegen forderte sie dazu auf, die vorhandenen Verarbeitungsmöglichkeiten für die Helfer auch zu nutzen.

In den Arbeitsgruppen am Nachmittag ging es dann um praktische Fragen: „Wie überbringe ich die Todesnachricht?“ „Wie gehe ich mit den Angehörigen um?“ „Was ist zu tun, wenn die Schule betroffen ist?“ „Wie sieht die Nachsorge bei den Helfern aus?“ Die Veranstalter hoffen, dass der kollegiale Austausch über Berufsgruppen hinweg sich auch positiv auf die Zusammenarbeit vor Ort auswirkt.

Burkard Vogt (POW)

(1813/0480; E-Mail voraus)

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