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„Die Menschen in Palästina und Israel leiden unter demselben System“

Wie ein Israeli und ein Palästinenser die aktuelle Lage im Heiligen Land beurteilen – Gesprächsabend mit Vertretern von „Combatants for Peace“ im Aschaffenburger Martinushaus

Aschaffenburg (POW) Über 220 Menschen sind am Freitag, 8. Dezember, in das Aschaffenburger Martinushaus zu einem Gespräch mit Vertretern der Friedensbewegung „Combatants for Peace“ (CfP) gekommen. Diese Organisation wurde 2006 gemeinsam von Palästinensern und Israelis gegründet und hat sich zum Ziel gesetzt, eine friedliche Lösung des Nahostkonflikts voran zu treiben. Dazu bedienen sie sich verschiedener Formen des gewaltfreien Widerstands und setzen auch auf Aufklärung und Bildung der jungen Generation. Veranstaltet wurde der Abend vom Journalisten und Palästinakenner Johannes Zang gemeinsam mit dem Verein Martinusforum und dem „pax christi“-Diözesanverband Würzburg.

Um Aufklärung ging es dem Juden Rotem Levin (33) und dem Palästinenser Osama Iliwat (45), beide Mitglieder der Friedensinitiative CfP, auch im Martinushaus. Nach einer kurzen Einführung zur Geschichte des Konflikts durch Zang erzählten die beiden Besucher aus dem Nahen Osten von ihrer Kindheit und Jugend und wie sie gelernt hatten, die jeweils andere Bevölkerungsgruppe zu hassen.

So waren für den Juden Levin Palästinenser zunächst nur die Menschen, die in den Grenzen Israels leben und eine Art Dienstleister für Israelis sind. Nach und nach wurde ihm beigebracht, dass diese Menschen gefährlich seien und er sich in Acht nehmen müsse. Zum Eintritt in die israelische Armee sah er kaum eine Alternative. „Wer nicht eintreten will, riskiert eine Verhaftung für ein halbes Jahr oder muss sich von einem Psychiater für nicht zurechnungsfähig erklären lassen“, sagte Levin. Dazu komme, dass das Umfeld einen Wehrdienstverweigerer nicht akzeptieren würde. Doch als Soldat habe er begonnen, den Sinn seiner Einsätze in Frage zu stellen. Seine Kollegen von damals, so sagt er, seien heute die, die den Gaza-Streifen bombardierten. Er sei froh, dass er nicht dabei sei. Nach seiner Zeit beim Militär besuchte er ein Dialogtreffen mit Palästinensern. Das habe ihm die Augen für die Situation der anderen geöffnet. „Zum ersten Mal hörte ich von den palästinensischen Flüchtlingslagern und von der großen Vertreibung dieser Menschen“, erzählte er. Das habe ihn wütend auf seine Eltern und seine Lehrer gemacht, die ihn falsch informiert hatten. „Die Trennung zwischen uns ist ein entscheidendes Hindernis, um die Sicht des jeweiligen anderen zu hören und zu verstehen“, stellte er fest.

Das sieht Iliwat genauso. Er ist in Ost-Jerusalem geboren und hatte als Kind zunächst keine Ahnung von dem Konflikt. Als er später zur Schule ging, sah er zum ersten Mal israelische Soldaten. Ihm wurde erklärt, dass das die Juden seien. Für Palästinenser, so erklärte er den deutschen Zuhörern, sei das Judentum eng mit der Besatzung Palästinas verbunden. Iliwat plädierte für eine klare Unterscheidung: „Gegen die Besatzung zu sein, hat nichts mit Antisemitismus zu tun.“ Sein schrecklichster Moment im Leben sei gewesen, als sein Vater mitten in der Nacht von Soldaten verhaftet wurde. „Ich wusste damals noch nichts über die Gesamtsituation, aber ich hasste diese Soldaten, die meinen Vater verhaftet hatten und wollte irgendetwas tun“, erklärte das heutige Vorstandsmitglied der CfP. So fing er an, zu demonstrieren, mit Hilfe von Spraydosen Freiheitsparolen auf Wände zu sprühen und verbotenerweise die palästinensische Flagge zu hissen. Er wurde verhaftet, saß sechs Monate ohne Anklage im Gefängnis und lernte dort: Die Israelis sind immer die Bösen und die Palästinenser immer die Opfer.

Auch bei ihm gab es eine Wende im Leben. 2010 kam er durch Zufall über einen Freund zu einem Treffen von Friedensaktivisten. Er machte die Erfahrung, dass es Juden gibt, die an einem Frieden mit den Palästinensern interessiert sind und die ihre eigene Regierung wegen deren Politik der eisernen Faust kritisierten. Das Treffen habe ihn verwirrt und er habe begonnen, sich besser zu informieren. Er hörte vom Trauma des Holocausts und der Angst der Juden vor einer Wiederholung, besuchte in Deutschland das Konzentrationslager Sachsenhausen. Das habe ihn überzeugt: Um den anderen zu verstehen, muss man auch seine Geschichte kennen. Heute arbeitet Iliwat in der Friedensinitiative mit und hält die Trennung zwischen den beiden Völkern als das größte Hindernis für einen Frieden. Es gebe keinen Wettbewerb, wer mehr leidet, keinen Wettbewerb welches Blut wertvoller ist, meint er und sagt: „Die Menschen in Palästina und Israel leiden unter demselben System, leiden alle gleich.“ Sein Fazit klang nach einem Programm für die Zeit nach dem aktuellen Krieg im Nahen Osten: „Israelis werden nicht sicher sein, solange die Palästinenser nicht frei sind, und Palästinenser werden nicht frei sein, solange die Israelis nicht in Sicherheit sind.“

Das anschließende Gespräch machte deutlich, dass auch die beiden Gäste keine einfache Lösung für den aktuellen Konflikt haben. Eindringlich appellierten sie, dass die Menschenrechte von beiden Seiten einzuhalten seien. Darüber hinaus gehe eine Veränderung nicht ohne den mühsamen Weg, sich gegenseitig kennenzulernen und dadurch besser zu verstehen. Die „Combatants for Peace“ tun das mit verschiedenen Workshops, bei denen junge Menschen von beiden Seiten mehr übereinander erfahren. Der Verein ist so strukturiert, dass Israelis und Palästinenser gleichberechtigt über die Arbeit entscheiden können. Sie wollen versuchen, gemeinsam Ängste abzubauen und das System der Trennung zu brechen. Doch das sei ein langsamer Weg. Das Ziel müsse Freiheit und Gleichheit für alle Menschen zwischen dem Mittelmeer und dem Jordanfluss sein, formulierte Levin. Ob die Zwei-Staaten-Lösung noch eine Chance habe, wollten beide Gäste nicht beurteilen, aber sie könnten sich nicht vorstellen, ein Leben zu führen, das durch Mauern getrennt sei.

„Wenn die Nacht am dunkelsten ist, ist der Tag nicht mehr weit“, sagte Levin mit Blick auf die aktuellen gewaltvollen Geschehnisse und erntete dafür von den Zuhörern eine Mischung aus erstauntem und zweifelndem Gemurmel. Applaus gab es dagegen für seine Forderung, dass es klare Stimmen braucht, die sich gegen den Krieg und die Gewalt aussprechen. Und mit Blick auf die Palästinenser im Gazastreifen formulierte Iliwat: „Wenn du willst, dass die Menschen sich ändern, dann gebt ihnen Hoffnung, einen Grund zum Weiterleben.“

bv (POW)

(5023/1376; E-Mail voraus)

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