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Die Erinnerung wach halten

Am 27. Januar begehen Menschen weltweit den Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus. Mir geht es mit Blick auf unsere deutsche Vergangenheit gut, dachte ich jedenfalls immer. Ich bin einige Jahre nach dem Ende des 3. Reichs geboren: Wieso soll ich mich verantwortlich fühlen für Dinge, die vor meiner Zeit geschahen?

Geändert hat sich diese Haltung erst, als ich als junger Mann für zwei Jahre zur Seelsorgeweiterbildung in New York lebte. Eines Nachts wurde ich von einer Station im Krankenhaus angefordert, weil eine Patientin verstorben war und die Angehörigen erwartet wurden. Vor Ort erfuhr ich, dass die Verstorbene eine Überlebende des Konzentrationslagers Mauthausen bei Wien gewesen war. Zu den Angehörigen, die erwartet wurden, gehörte ihr Mann, ebenfalls ein Überlebender von Mauthausen. Da war ich nun, ein junger Deutscher, und sollte Juden beistehen, deren Familienangehörigen von den Henkern des Nationalsozialismus ermordet worden waren. Ich habe mich ungenügend gefühlt, der Aufgabe nicht gewachsen. Ich dachte, ich wäre gerade in der Situation des Todes nicht die richtige Person, hier helfend beistehen zu können.
Als ich die Familie traf, hätte ich auf Stelzen unterm Teppich laufen können. Ich spürte, dass ich von der Vergangenheit unseres Volkes in meinem Empfinden nicht frei war, dass ich diesen Teil der deutschen Geschichte auf einmal als persönliche Verpflichtung erlebte.
In der seelsorglichen Begegnung mit dieser jüdischen Familie war ich dann überwältigt und beschämt von der Offenheit, mit der insbesondere der Ehemann der Verstorbenen mir begegnete. Da war nichts von Vorwürfen zu spüren, nur Dankbarkeit und Herzlichkeit, dass er in der Situation des Todes seiner Frau mit einem Geistlichen in seiner Muttersprache reden konnte: Deutsch.
27. Januar, internationaler Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. An den öffentlichen Gebäuden wird Trauerbeflaggung gesetzt. Im Bundestag findet eine Gedenkstunde statt.
Klar, Schuld haben wir keine, wir „Nachgeborenen". Die Gnade der späten Geburt bewahrt uns davor. Eine Verpflichtung haben wir, meine ich, schon: Das Trauern darüber, was in unseren Reihen grausam an Leid und Verlust geschehen ist, und die Mahnung, das Wissen um die Möglichkeit solchen Unrechts wach zu halten unter uns. Solche Willkür darf sich nicht wiederholen!

Pfr. Heinrich W. Spittler