Auch wenn ich auf meinem Computer eine empfangene Datei speichere, gibt mir eine Anzeige Auskunft, wie lange der Vorgang noch geschätzt dauert. Da läuft die angebene Zeit aber nicht immer gleichmäßig ab, schneller als erwartet erscheint dann manchmal die Information „Noch einige Sekunden verbleibend“.
Als ich diesen Vorgang das letzte Mal beobachtet habe, bin ich ins Grübeln gekommen: Läuft nicht auch in meinem Leben ein solcher Countdown? Den habe ich zwar nicht wie auf dem Bildschirm vor Augen, aber klar ist: Die Jahre, Tage, Stunden, Minuten und Sekunden nehmen stetig ab.
Eines Tages wird es auch für mich – wahrscheinlich ohne exakte Zeitangabe – heißen „Nur noch wenige Zeit verbleibend“. Und das wird vielleicht auch nicht mit der vorher geschätzten oder vermuteten Zeitspanne überein stimmen.
Der Dichter Jean Paul hat einmal den Lauf des Lebens so charakterisiert: „Auf jeden Menschen wird in der Stunde seiner Geburt ein Pfeil abgeschossen, und dieser Pfeil trifft ihn in der Stunde des Todes. Und manchmal hören wir mitten im Leben das Schwirren dieses Pfeils.“
Wie gehen wir mit dieser erst einmal erschreckenden Sichtweise um? Wir können die Tatsache, dass die Zeit stetig abläuft, natürlich verdrängen. Wir können hoffen, dass wir das „Schwirren dieses Pfeils“ nicht hören, bevor er uns trifft. Oder wir können durch diese Einsicht neu lernen, die Jahre, Tage und Stunden unseres Lebens als ein kostbares Geschenk zu betrachten.
Im Psalm 90 im Alten Testament steht die schöne Gebetsbitte: „Unsere Tage zu zählen, lehre uns! Dann gewinnen wir ein weises Herz.“ Die Tage zu zählen, das meint sicher nicht, nur gebannt und gelähmt die abnehmenden Zahlen zu verfolgen. Es bedeutet für mich vielmehr, jeden Zeitabschnitt zu schätzen und achtsam mit ihm umzugehen. Ich finde es tröstlich, dass Weisheit nach diesem biblischen Gedanken nichts mit großem Wissen und vielfältigen Kompetenzen zu tun hat, die sich jemand durch langes Lernen erwirbt. Nein, ein weises Herz gewinnt der Mensch im ehrlichen Ja zu der Einsicht, dass das Leben in dieser Welt begrenzt ist. Und ein weises Herz hat Mut zur Frage: „Mensch, was machst du aus deiner Zeit?“ Denn es gilt immer: Heute ist der erste Tag vom Rest deines Lebens.
Peter Michaeli,
Pfarrbeauftragter in Hösbach-Bahnhof