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Im Gespräch

„Den Menschen hinter der Krankheit finden“

Interview mit zwei Expertinnen zum Thema Demenz – Schwerpunkt der diesjährigen ökumenischen „Woche für das Leben“

Aschaffenburg (POW) Am Samstag, 30. April, startet die jährliche ökumenische „Woche für das Leben“ wieder. Seit über 25 Jahren nehmen die evangelische und die katholische Kirche mit dieser Initiative den Schutz und die Würde des Menschen vom Lebensanfang bis zum Lebensende in den Blick. In diesem Jahr widmen sie sich dem Thema „Mittendrin. Leben mit Demenz“. Bundesweit ist eine Fülle von Veranstaltungen geplant. Im Aschaffenburger Martinushaus findet beispielsweise am Dienstag, 3. Mai, von 17 bis 19 Uhr ein Nachmittag für betroffene Angehörige und Interessierte statt. Verschiedene Referenten werden dort Impulse und Informationen rund um das Thema „Demenz“ geben. Verantwortlich für diese Veranstaltung sind die Ökumenische Klinikseelsorge am Aschaffenburger Klinikum und die katholische und evangelische Altenheimseelsorge in Kooperation mit dem Verein „Alzheimer-Gesellschaft Aschaffenburg“, der Beratungsstelle Demenz am Untermain und dem Verein Martinusforum.

Mit zwei Vertreterinnen der veranstaltenden Organisationen haben hat die Pressestelle des Ordinariats Würzburg vorab ein Gespräch geführt. Gabriele Spahn-Sauer ist Regionalaltenheimseelsorgerin für den Untermain. Sie sagt, 80 bis 90 Prozent der Bewohner in den von ihr betreuten Heimen hätten eine demenzielle Veränderung. Friederike Platzek engagiert sich ehrenamtlich in der Alzheimer-Gesellschaft in Aschaffenburg. Der Verein versucht, das Krankheitsbild in die Öffentlichkeit zu tragen und die Angst davor zu nehmen.

POW: In den vergangenen 20 Jahren hat man immer mehr vom Krankheitsbild Demenz erfahren. Es wird immer offener darüber gesprochen, die Krankheit ist schon länger Thema in Fernseh- und Spielfilmen. Gibt es das trotzdem immer noch, dass sich Menschen schämen, wenn sie davon betroffen sind?

Friederike Platzek: Ja, das gibt es leider immer noch. Es kann zum Beispiel vorkommen, dass jemand zu uns in die Selbsthilfegruppe kommt und dort jemandem aus dem Nachbarort begegnet. Dann kann es passieren, dass der Betroffene lieber nicht mehr kommt.

Gabriele Spahn-Sauer: Ich habe vor kurzem erst im Freundeskreis erlebt, wie eine Mutter, deren Sohn eine Alzheimererkrankung hat, nicht darüber reden wollte. Erst als ich sie auf ihre Traurigkeit angesprochen habe, hat sie es mir erzählt und ist dabei in Tränen ausgebrochen. Sie trug das bereits ein Jahr mit sich herum und konnte bis dahin einfach nicht darüber reden.

Platzek: Bei uns rufen auch Leute am Alzheimer-Telefon an und es klingt oft erst so, als gäbe es erst seit kurzem Probleme. Und wenn man dann nachfragt erfährt man, dass es die Symptome schon viel länger gibt und man sich nicht getraut hat, das Problem anzugehen. Daran merkt man, dass wir noch viel zu tun haben in Sachen Öffentlichkeitsarbeit. 

POW: Demenz ist ja ein Überbegriff für verschiedene Krankheitsbilder. Wie kann ich denn als Angehöriger merken, dass ich es damit zu tun habe?

Spahn-Sauer: In einem Trauergespräch bekam ich es neulich von einer Angehörigen ganz deutlich beschrieben. Sie sagte: „Als ich merkte, meine Mutter versalzt zunehmend ihr Essen, das mit dem Stricken klappte nicht mehr so richtig, und als dann noch die Nachbarn erzählten, sie würde nachts aufräumen und am anderen Morgen von einem anstehenden Besuch erzählen, da wusste ich, dass ich etwas unternehmen muss.“

Platzek: Wenn man so etwas bemerkt, ist es wichtig gut abzuklären welche Ursachen das veränderte Verhalten hat. Es könnte auch eine Schilddrüsenerkrankung dahinterstecken, ein Gehirntumor, Durchblutungsstörungen, eine Depression. Das kann man mit Tests und Untersuchungen schnell abklären. Erst wenn andere Ursachen ausgeschlossen sind, kann man von einer Demenz ausgehen.

POW: Stimmt es, dass Demenz nicht heilbar ist?

Platzek: Im Grunde ist es momentan so. Aber wenn sie sich in der Familie mit dem Krankheitsbild auseinandersetzen und dann entsprechende Tagesstrukturen schaffen, den richtigen Umgang mit den Betroffenen lernen und das mit einer guten medikamentösen Behandlung ergänzen, dann hat man die Möglichkeit, eine ganze Zeit lang eine hohe Lebensqualität zu sichern.

Spahn- Sauer: Auffallend ist: Wenn Menschen vereinsamen, verändert sich auch die demenzielle Erkrankung. Sprachlosigkeit und Unruhe nehmen zu. Die Coronazeit mit ihren Isolierungen und Quarantänebestimmungen brachte für viele eine Beschleunigung bei der Erkrankung. Wenn man dagegen Beschäftigungsmöglichkeiten bietet, wenn man beispielsweise Musik und Singen einsetzen kann, dann sind beim Betroffenen Aktivierungen da, die ihn wieder besser am Leben teilnehmen lassen.  

POW: Wie sollen Angehörige, die einen Erkrankten zu Hause pflegen wollen, an die Sache heran gehen?

Platzek: Auf jeden Fall, indem sie eine gut abgeklärte Diagnose einholen und dann erst mal Kontakt aufnehme mit Stellen, die Hilfe anbieten. Dass kann die Alzheimer-Gesellschaft sein, es gibt aber auch andere Demenz-Beratungsstellen. Wichtig ist auch: Als pflegender Angehöriger muss ich mir auch Auszeiten schaffen, in denen ich an mich selbst denke. Es gibt die Möglichkeit, sich stundenweise jemanden ins Haus kommen zu lassen, oder man kann rechtzeitig auch Tagespflege in Anspruch nehmen, solange der Erkrankte noch gut in der Lage ist, sich einzugewöhnen.

POW: Wenn man damit konfrontiert ist, dass der nahe Angehörige vieles nicht mehr kann, löst das ja auch eine Verunsicherung aus. Wie geht man am besten damit um?

Platzek: Wir empfehlen, auf jeden Fall einen Kurs mitzumachen, in dem man dafür wichtige Tipps bekommt.

Spahn-Sauer: Da gibt es dann zum Beispiel ganz klare Regeln für die Kommunikation. So frage ich Erkrankte nicht nach: „Was hast du heute zu Mittag gegessen?“, weil sie das oft nicht mehr beantworten können. Oder ich werde die Erkrankten nicht ständig korrigieren, wenn sie etwas Falsches sagen, denn sonst verstummen sie vielleicht, weil sie andauernd gemaßregelt werden und es kommt am Ende noch eine Depression dazu. Das kann man sich antrainieren und dann wird das Miteinander entspannter.

Platzek: Zum Umgang gehören auch Dinge wie: Kurze Sätze sprechen, nicht zu viel zur Auswahl stellen, aber einfache Entscheidungen ermöglichen.

POW: Manchmal hört man von Angehörigen oder Außenstehenden mit Blick auf stark an Demenz Erkrankte die Frage: Ist das überhaupt noch ein Leben?

Spahn-Sauer: Da ich Menschsein nicht alleine vom Verstand und seiner Leistungsfähigkeit abhängig mache, sondern für mich auch ganz viel Seele, Sinne und Gefühle eine Rolle spielen, sage ich, der Demenzkranke bleibt bis zum Schluss Mensch. Die anderen Sinne kompensieren das was ausfällt, die Konzentration auf Riechen, Fühlen, Schmecken oder Sehen nimmt zu.

Platzek: Ich bin ja von Beruf Krankenschwester und ich fand es immer spannend, bei stark von einer Krankheit Gezeichneten trotzdem noch den Menschen hinter der Krankheit zu finden, mit all seinen Wünschen und seinen Träumen. Da gehört aber viel Zeit, viel Interesse und viel Liebe zum Menschen dazu. Sie müssen dafür den Vorhang der Krankheit lichten und sich auf die Suche machen.

POW: Die Krankheit ist doch inzwischen ziemlich gut bekannt. Braucht es denn überhaupt bei der Woche für das Leben ein Schwerpunktthema Demenz?

Spahn-Sauer: Ich finde, man kann einer Gesellschaft zumuten, auch mit Menschen, die eine gewisse Andersartigkeit haben, zu leben. Ich finde es beispielsweise gut, mit den Erkrankten zum Optiker oder in den Gottesdienst zu gehen. Aber da muss das Verständnis in der Gesellschaft noch wachsen.

Platzek: Wenn die Menschen lernen, mit dem Krankheitsbild umzugehen und locker bleiben können, wenn sie jemanden mit Demenz begegnen, dann haben wir es geschafft.

Interview: Burkard Vogt (POW)

(1722/0482; E-Mail voraus)

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