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Dass eure Herzen nicht leer sind ...

Ich wandere in den libanesischen Bergen. Ein Auto stoppt. Der Fahrer lacht mir aus seinem tief gebräunten Gesicht entgegen: „Kann ich Sie mitnehmen?“ Vor dem Ikonenmuseum in Frankfurt lächelt mich eine Japanerin an und fragt mich, sich mehrmals verneigend, nach dem Weg.

In Frankreich nimmt man sich, kaum kennen gelernt, grüßend in den Arm. In Deutschland schaut man bei vielen zufälligen Begegnungen parallel aneinander vorbei: Blick nach Osten – Blick nach Westen, aber bitte parallel. So wie die Alten das vorsingen, zwitschern es konsequenterweise immer lauter auch die Jungen.
Wollte man solche deutsch-deutsche Begegnungen etwas unsanft interpretieren, so könnte man sagen: Der an mir vorbeigeht oder der mir gerade begegnet, ist für mich „schnuppe“. „Schnuppe sein“ aber heißt ursprünglich: „Du bist für mich wie ein erloschener Docht!“ Man könnte mir jetzt nachsichtig zu Hilfe kommen und andeuten, dass der Docht im Herzen des Nichtgrüßenden nur für diesen Augenblick erloschen war und dass er deshalb ganz einfach nicht anders konnte, vielleicht auch, weil er eine Enttäuschung, eine Verletzung in sich trägt oder ganz bei seinen eigenen Gedanken ist.
Selbst die Tiere kennen doch das Grüßen, denke ich mir. Störche begrüßen sich, indem sie ihren Kopf nach hinten auf den Rücken legen und klappern, Schimpansen umarmen sich, geben sich die Hand, verbeugen sich beim Grüßen.
Wie aber mit dem modernen menschlichen Verhalten klar kommen? Man könnte bei sich denken: „So ein Stoffel!“, was kurioserweise bedeutet: Du bist wie der heidnische Riese Stoffel aus der Legende, bevor er nach Jahren der Suche Christus begegnet ist und zu einem „Christophoros“ gewandelt wurde. Man könnte das Nichtgrüßen bewusst zurückspiegeln, aber das bringt niemanden weiter. Oder man könnte und sollte trotz Coolness Gelegenheiten zum Ansprechen suchen. Ein Inder hat mich folgendes gelehrt: Wenn er die Hände faltet und sich vor dem Nächsten verneigt, denkt er bei sich: „Das Heilige in mir grüßt das Heilige in dir.“
Vielleicht liegt es daran. Der Nächste wird nicht mehr in seiner Einmaligkeit auf Grund seines inneren Wertes und seiner inneren Tiefe gesehen. Man sieht ihn vielmehr in seinem Funktionswert, Materialwert, Schönheitswert. In einem seiner Gedichte enthüllt Günter Eich diesen verharmlosenden Rückzug in das Private und Materielle, wenn er u.a. provozierend dichtet: „Wacht darüber, dass eure Herzen nicht leer sind, wenn mit der Leere eurer Herzen gerechnet wird. Tut das Unnütze, singt die Lieder, die man aus eurem Mund nicht erwartet!
Seid unbequem, seid Sand, nicht Öl im Getriebe der Welt.“
Der Gruß wäre eines der Lieder, die wir singen könnten.

Peter Spielmann, Oberstudienrat