September 2023: Meine Frau und ich genießen einen Spaziergang auf dem Gelände der Gemündener Kreuzschwestern. Am Waldrand treffen wir auf ein hölzernes Kruzifix. Wir betrachten es näher: Jesu Haupt ist gebeugt. Die Augen sind geschlossen. Das Leiden ist vorbei. Das Gesicht strahlt Ruhe und Frieden aus. Noch etwas bannt unseren Blick: Auf den Schultern Jesu hatten Vogeleltern ein Nest gebaut. Jetzt ist es verlassen. Die Jungen sind flügge geworden und haben die neue Freiheit erobert.
Szenenwechsel: Vor uns liegt die Heilige Woche. Jesus zieht unter dem Jubel des Volkes in Jerusalem ein. Das Urteil der religiösen Führer ist längst gesprochen. Jesus ahnt das Kommende. Mit seinen Freundinnen und Freunden hält er ein Abschiedsmahl. Danach ist er allein im nächtlichen Garten Getsemani. Jesus hat Angst und ringt mit Gott um sein Schicksal. Verhaftung und Auslieferung an den römischen Statthalter folgen. Pilatus spricht das Urteil: Geißelung und Kreuzigung. Die Jünger fliehen. Die neue Welt, in der Gerechtigkeit und Frieden wohnen, war nur ein kurzer Traum.
Blick ins heutige Israel und Palästina: In der Heimat Jesu begegnet uns der Teufelskreis von Terror, Krieg und tausendfachem Leid. Es sind viele junge Menschen, deren Zukunft und Leben zerstört sind. Friedensmahner auf beiden Seiten finden kein Gehör.
Blick um uns: Auch da Menschen, die ein schweres Schicksal tragen. Eine Krankheit bricht mit Wucht ins Leben ein. Schmerzen quälen Körper und Seele. Familien trauern um einen geliebten Menschen. Alte Menschen fühlen sich allein und abgeschoben. Immer mehr Menschen sind gefangen in einer Depression oder in einem Burnout. Andere leiden an der Unversöhntheit eines familiären Konfliktes.
Ich finde bei all dem keine billigen Trostworte. Manchmal schreie ich stumm meine Klage vor Gott. Ich lege die Hände auf mein Herz. Ich bete für die, die leiden und keinen Ausweg sehen. Der Christus im Klosterwald ist mir dabei nahe. Auf seinen Schultern trägt er nicht nur das leere Nest. Er trägt auch mich. Immer wenn ich mich klein und ohnmächtig fühle, erzählt mir das leere Nest vom Lockruf der Freiheit und von der Liebe, die Leid und Tod überwindet.
Liebe Leserinnen und Leser,
ich wünsche Ihnen Trost- und Hoffnungsbilder, die Sie tragen. Ich wünsche Ihnen Menschen, mit denen Sie Ihre Erfahrungen teilen können.
Burkhard Fecher, Gemünden, Pastoralreferent i.R.