Hinweis

Ihre Browserversion wird leider nicht mehr unterstüzt. Dies kann dazu führen, dass Webseiten nicht mehr fehlerfrei dargestellt werden und stellt ein erhebliches Sicherheitsrisiko dar. Wir empfehlen Ihnen, Ihren Browser zu aktualisieren oder einen der folgenden Browser zu verwenden:

Dokumentation

„Danke, lieber Helmut“

Predigt von Bischof Dr. Franz Jung beim Requiem für Weihbischof em. Helmut Bauer am Samstag, 12. Oktober 2024, im Würzburger Kiliansdom

Liebe Angehörige der Familie Bauer,

liebe Familie Parijek,

liebe Mitbrüder im bischöflichen, priesterlichen und diakonalen Amt,

liebe Schwestern und Brüder im Herrn,

„Hast du dich schon eingelebt?“ So lautete seit sechs Jahren immer die erste Frage, wenn ich Weihbischof Helmut in seiner Wohnung in der Herrnstraße besuchte. Erwartungsvoll schaute er mich dann mit seinen großen, lebhaften Augen an.

Wenn ich erwiderte, dass ich nun doch schon geraume Zeit in Würzburg sei, zeigte er sich nachdenklich bis verwundert. Er merkte, dass er zusehends mehr am Ufer des Flusses der Zeit stand, der an ihm vorbeifloss, ohne dass er noch der Veränderungen in seinem unmittelbaren Umfeld gewahr wurde. Wenn dann die Hörgeräte einmal richtig saßen, kam man auch gut miteinander ins Gespräch.

Als zweites folgte die obligatorische Mitleidsbekundung mit den amtierenden Bischöfen, die in ach so schwierigen Zeiten das Schifflein Petri durch allerhand Klippen zu navigieren hatten. Er war sichtlich froh, nunmehr der Verantwortung enthoben zu sein.

Im Maß, in dem die Gegenwart verblasste, gewann die Vergangenheit an Gewicht. Besonders eindrücklich war ihm die Zeit im Kilianeum in Erinnerung geblieben. „Wir waren Kilianisten!“ Mit einer weit ausladenden Geste der rechten Hand untermalte er dieses Selbstbekenntnis. In bedrängter Zeit „Kilianist“ zu sein, erfüllte ihn mit Stolz. Öfters erzählte er mir von dem Moment, in dem die SS-Männer ins Kilianeum einrückten. Ihre Drohung, nach dem Endsieg die Ersten auf ihrer schwarzen Liste zu sein, hallte ein Leben lang in seinen Ohren nach.

Der Einschüchterungsversuch der Nazi-Schergen scheint dennoch an ihm abgeprallt zu sein. Als junger Mensch ob seines christlichen Glaubens einer solchen Drohung für würdig erachtet zu werden, fasste er im Gegenteil als Auszeichnung auf. Ja, er war stolz auf das Kilianeum, dem er über 20 Jahre seines priesterlichen Lebens in verschiedenen Funktionen, zum Schluss als Direktor in Würzburg, dienen durfte.

Gerne erinnere ich mich daran, wie ich kurz nach der Bischofsweihe Helmut einlud, mit mir nach Speyer zu fahren. Wir wollten dort Anton Schlembach besuchen, der sich aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage gesehen hatte, an meiner Weihe teilzunehmen. Es war einfach zu köstlich, wie die beiden Emeriti und „Kilianisten“ in Erinnerungen schwelgten, die alten Zeiten hochleben ließen und dabei ihre unmittelbare Umgebung völlig vergaßen. Noch wussten wir zu diesem Zeitpunkt nicht, dass der Abschied aus Speyer endgültig war. Kurze Zeit später verstarb Bischof Anton und damit ein weiterer Zeuge jener bewegten Zeit, die ihn so nachhaltig geprägt hatte.

Wenn Helmut als Wahlspruch „In viam pacis“ – „Auf den Weg des Friedens“ wählte, ein Wort aus dem morgendlichen Benedictus (Lk 1,79), dann deshalb, weil er aus eigener Anschauung wusste, welch hohes Gut der Frieden war. Und er wusste, was es bedeutet, im Krieg seinen Dienst tun zu müssen – eine Erfahrung, die mit dem Abtritt seiner Generation in unserer Gesellschaft insgesamt verloren zu gehen droht.

Sein kämpferisches Temperament, bisweilen aufbrausend und wortgewaltig, manchmal aber auch einschüchternd, hat er sich jedenfalls bis zum Schluss bewahrt. Nach der Zeit als Leiter des Kilianeums folgten die Aufgaben als Dompfarrer und Stadtdekan in Würzburg. Immer wieder beteuerte er mir gegenüber: „Ich hab‘ mich für keine einzige dieser Aufgaben beworben.“

So war auch das bischöfliche Amt unerwartet über den stattlichen Mann gekommen. In einer stillen Stunde vertraute er mir einmal an, dass wohl ein anderer an seiner statt als Weihbischof vorgesehen war. Als Ersatzmann hat er sich aber nie gefühlt. Mit großem Engagement widmete er sich den bischöflichen Aufgaben. Ganze Generationen sind von ihm gefirmt worden. Geschätzt waren es wohl an die 150.000 Mädchen und Jungen, die er mit dem Sakrament der Firmung im Glauben bestärkte.

„Music was his first love!“ Immer wieder betonte er die innere Freude am Singen, die er während der Schulzeit entdeckte und die andere an ihm wahrnahmen. Kurz trug er sich mit dem Gedanken, Musik zu studieren, entschied sich aber dann doch für den Eintritt ins Priesterseminar. Die Liebe zum Gesang hat ihn dennoch nie verlassen.

In der Aufgabe des Bischofsvikars für Liturgie und Kirchenmusik sowie als Dompropst am Würzburger Kiliansdom und als Leiter der Abteilung Kirchenmusik im Bischöflichen Ordinariat Würzburg tat er alles, um die Kirchenmusik voranzubringen. Seine Liebe zur Musik zeigte sich auch in seinem Engagement in der Deutschen Bischofskonferenz. Hier hatte er den Vorsitz der „Ständigen Kommission für das Gesangbuch Gotteslob“ inne und den katholischen Vorsitz der „Arbeitsgemeinschaft Ökumenisches Liedgut“.

Unsere Dommusik und die Kirchenmusik im ganzen Bistum verdanken seiner Förderung bis zum heutigen Tag sehr viel. Durch die von ihm mit initiierte Abbé-Vogler-Kirchenmusikstiftung tragen seine Liebe zur „Musica Sacra“ und sein Wunsch nach Förderung kirchenmusikalischer Projekte weiterhin gute Früchte.

Bei unserer Pilgerreise nach Irland vergangene Woche hat es mich tief berührt, wie sehr die Gläubigen in Mullagh über die Nachricht vom Tod Weihbischof Helmuts betroffen waren. Sie hatten seine Sangesfreude noch in guter Erinnerung, einschließlich des legendären Sängerwettstreits, den er einst mit Kardinal Tomás Séamus Ó Fiaich ausgetragen hatte.

Als Mann vom Untermain und Bauernsohn war Helmut bodenständig und heimatverbunden. Seine tiefe Marienfrömmigkeit zeigte sich nicht nur in seiner Liebe zum täglichen Rosenkranzgebet. In seinem Heimatort Schimborn ließ er 1983 die Kapelle „Maria im Aufgang“ als sichtbaren Ausdruck seiner Liebe zur Patrona Franconiae errichten und sorgte mit einer eigenen Stiftung für deren Unterhalt.

Auf die Beheimatung im Frankenland verweisen seine zahlreichen Ehrenmitgliedschaften und Ehrungen, worunter der Frankenwürfel und die Ehrenbürgerwürde des Marktes Mömbris besondere Erwähnung verdienen. Als langjähriger „Wirte-Kaplan“ auf dem Kreuzberg war er ganz in seinem Element.

Noch zu Beginn meiner Würzburger Zeit konnte ich ihm auf dem Fahrradweg am Main mit seinem E-Bike – falsch, „mit seinem Pedelec“ natürlich!, wie er mich regelmäßig streng verbesserte – begegnen. Aber schon bald traute er sich das nicht mehr zu. Sein Wirkungskreis wurde zusehends kleiner.

Bisweilen saß er mit seiner Pflegekraft am späten Nachmittag auf einem Bänkchen in der Eichhornstraße. Hatte ich einen Augenblick Zeit, setzte ich mich dazu. „Ich mach das nur, dass sie auch mal rauskommt“, flüsterte er mir dann schalkhaft zu und wies verstohlen auf seine Betreuerin.

Ein letztes schönes Fest war sein 90. Geburtstag, den wir im März vergangenen Jahres gemeinsam im Bischofshaus feierten. Nach der heiligen Messe in der Kapelle ging’s im Kreis der engsten Familienangehörigen zusammen mit den bischöflichen Mitbrüdern zum Frühstück.

Er schien diesen Moment zu genießen. Und im Überschwang des Augenblicks intonierte er stimmgewaltig ein Halleluja, sehr zur Freude aller Anwesenden, die angerührt waren von diesem Ausdruck geballter Lebenslust!

Mindestens 93 Jahre alt wollte er werden gleich seiner Mutter, wie er in trauter Runde zum Besten gab. Manchmal sagte er verschmitzt, es dürfte auch ein bissel mehr sein. Jetzt ist es ein bissel weniger geworden. Aber auch so war es gut.

„Denn ehrenvolles Alter besteht nicht in einem langen Leben und wird nicht an der Zahl der Jahre gemessen“ (Weish 4,8), wie es im Buch der Weisheit so tiefsinnig heißt. Nicht die lange Zeit, sondern die erfüllte Zeit ist entscheidend. Und diese 91 Jahre, viele von ihnen als Priester und Bischof, waren wahrhaft lang und erfüllt zugleich!

„Hast du Dich schon eingelebt?“ So wage ich Dich heute zu fragen, lieber Helmut. Verwundert und nachdenklich wirst Du mir vielleicht antworten: „Was fragst du? Ich bin doch schon geraume Zeit hier oben und war doch beim Singen eigentlich immer dort oben gewesen, wo wir einstimmen dürfen in den nie endenden Lobgesang an Gottes Thron.“ Eine trostreiche Antwort.

Und wenn der Apostel Paulus sagt (1Kor 3,15), „dass ein jeder von uns einmal wie durch Feuer hindurch gerettet wird“, dann schreckt auch dieser Gedanke Dich nicht. Denn mitten im Feuerofen haben die drei Jünglinge (Dan 3) die schönste und umfassendste Einladung zum Gotteslob angestimmt; das Lob auf den Gott, der keinen fallen lässt, dem alles zum Loblied geworden ist.

„Hast du Dich schon eingelebt?“ Diese Frage kannst nur Du uns heute beantworten. Wir spüren jedoch schmerzlich, dass wir uns mit dem Gedanken an Deinen Heimgang erst noch anfreunden müssen. Uns tröstet in dieser Abschiedsstunde, dass wir im Gesang auf immer miteinander verbunden bleiben.

Wie sagt der heilige Augustinus am Ende seines „Gottesstaates“ so wunderbar:

„Da werden wir ausruhen und schauen,

schauen und lieben, lieben und loben.

Siehe, das wird das Ende ohne Ende sein“. (de civ. XXII.30)

In diesem nicht endenden Gotteslob wollen wir uns jetzt miteinander vereinen, wenn wir für und mit unserem verstorbenen Weihbischof die heilige Eucharistie feiern.

Danke, lieber Helmut.