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Kreuzwort am 28. Januar 2022

Blick in die Tiefe

„Gestern standen wir am Abgrund, heute sind wir einen Schritt weiter“ – so sage ich manchmal, wenn nur noch schwarzer Humor zu helfen scheint. Ob es um Corona, die Klimakrise, die Kirche oder um den Blick in die Tiefe der eigenen Seele geht: Abgründe tun sich auf. Da hinunterzuschauen ist nicht angenehm. Ich erschrecke, manchmal wird mir direkt schwindlig. Was ich dort sehe, macht mir Angst. Lieber nicht hinschauen?! An diesem Sonntag feiern wir den ökumenischen Bibelsonntag. Das Leitwort in diesem Jahr lautet: „Gepriesen bist du, Gott, der in die Tiefen schaut“ (Dan 3, 54). Im biblischen Buch Daniel geht es ebenfalls um tiefe Abgründe:

Menschen, die wegen ihres Glaubens verfolgt, ins Feuer geworfen oder den Löwen zum Fraß vorgeworfen werden. Sexuelle Gewaltphantasien, Stalking und Verleumdung. Visionen von Weltmächten, die wie wilde Bestien erscheinen, vom Kampf zwischen Gut und Böse, der sich in der Welt abspielt. Manchmal wird mir dabei direkt schwindlig, nur vom Lesen. Und gar nicht so selten finde ich mich und meine eigenen Abgründe darin wieder. Ob ich dann auch – mitten im Feuerofen, mitten im tiefen Loch der Löwengrube – ein Loblied auf Gott anstimmen kann? Meist bleibt mit das eher im Hals stecken. Wenn, dann kann ich wohl erst nachträglich sehen, dass ich auch in den dunkelsten Abgründen nicht allein gewesen bin. Dass mein Gott nicht wegsieht, wenn es brenzlig wird, sondern hinschaut. In alle Finsternisse dieser Welt genau so wie in die dunklen Ecken meiner eigenen Seele. Es macht mir Mut, dass die biblischen Erzählungen mir immer wieder zusichern: Gott sieht hin! Allein schon dieses Hinsehen tröstet, stärkt und ermutigt mich. Und es verändert die Situation, so bedrohlich sie auch sein mag: Ich werde gesehen. Das sind manchmal Menschen, die einfach zuhören, wenn ich von meinen Abgründen erzähle, von dunklen Stunden, von finsteren Gedanken und tiefen Löchern. Die mit mir aushalten, wenn einfach nichts zu machen ist. Die nicht davor erschrecken, mit mir zusammen den Blick in die Tiefe zu wagen und Schritt für Schritt am Abgrund entlang einen Weg zu ertasten. Manchmal ist es auch so, dass mir Kraft und Mut zuwachsen, die ich vorher nicht hatte. Und manchmal kann ich wirklich nur staunen, dass ich heil aus einer brenzligen Situation herausgekommen bin, wie durch ein Wunder. Gott sei Dank! So knüpft meine eigene Erfahrung an die Geschichten in der Bibel an: von den Jünglingen im Feuerofen, von der Sklavin Hagar in der Wüste, von Jesus am Kreuz... Gott sieht hin. Das macht mir Mut, wenn ich wieder einmal am Abgrund stehe. „Gepriesen sei Gott, der in die Tiefe schaut!“

Dr. Ursula Silber
Rektorin im Martinushaus Aschaffenburg