Das erinnert mich an das alttestamentliche Auge um Auge und Zahn um Zahn. Das war in der damaligen Zeit übrigens eine kulturelle Errungenschaft. Nämlich die erlittene Gewalt z.B. des Augenverlusts nicht durch maßlose Gewalt zu erwidern und damit wieder Gewalt zu provozieren. Eben: Auge um Auge. Damit war dem Kreislauf der Gewalt eine Grenze gesetzt und, wenn man so will, dem Frieden eine Chance gegeben. Im Prozess der Menschheitsgeschichte ist diese ethische Maxime ein Fortschritt gewesen, weil sie die Gewalt eingedämmt hat. Und so sagt Jesus eben auch: Ihr habt gehört Auge um Auge, Zahn um Zahn. Dabei belässt er es aber nicht. In der Bergpredigt bringt er eine Weiterentwicklung: „Ich aber sage euch: … wenn Dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin.“ Was nun ist die Weiterentwicklung? Etwa eine naive Opfermentalität? Zunächst: Für mich ist klar, dass die Bergpredigt keine politische Handlungsanweisung ist. Und Jesus will auch nicht das alte Gesetz aufheben. Aber dennoch ist seine Rede hochpolitisch. Sie bietet eine erweiterte Perspektive. Das Gesetz der Gewalt soll und kann durch eine kreative Alternative ergänzt werden. Das bekannte Auge um Auge wird durch eine völlig neue Handlungsweise ergänzt. Damals hätte jemand erwarten können, wenn er dir eine „langt“, dass Du das Gleiche tust. Die neue Perspektive Jesu ist: Mache etwas, womit der andere nicht rechnet. Also: Steige aus dem Kreislauf der Gewalt aus! Sei dabei nicht dumm oder naiv, wie es diese Tage immer wieder und zu Recht heißt. Suche nach Alternativen! Es gibt keine Kriegslogik! Im Prozess der Menschwerdung – was doch die zentrale Botschaft von uns Christen ist - können wir aus der Geschichte des 20. Jahrhunderts lernen. Ein erneutes Eintreten in ein Wettrüsten ist unter ökonomischen und ökologischen Gründen (Stichwort Klimawandel) keine Perspektive. Wie wäre es, wenn neben die 100 Milliarden Sondervermögen Bundeswehr ein ebenso großes Vermögen in Friedens- und Klimaschutz eingebracht werden? Und wie wäre es, wenn alle Bürger, denen dies ein Anliegen ist, dafür auch Geld einbringen könnten? Das wäre eine andere Logik als die Kriegslogik! Das wäre eine Logik der vernünftigen Humanität und würde uns auf dem Weg der Menschwerdung ein gutes Stück voranbringen. Das würde auch zeigen, dass Vermögen mehr ist als ökonomische Potenz. Lassen wir uns von der Kriegslogik nicht unseren gesunden Menschenverstand rauben, den der ist ein Geschenk Gottes.
Dr. Peter Müller
Fachakademiedirektor